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Silvia Meixner: Ich glaub, mich tritt ein Hirsch.... Die Welt, Mai 1997 <<

Ich glaub, mich tritt ein Hirsch... „Stadt im Regal" heißt eine eigenwillige Ausstellung in der Parkgarage an der Behrenstraße Ins Parkhaus fährt und geht der Mensch, um es möglichst schnell wieder zu verlassen. Doch halt! Eine Hirschgruppe richtet ihren Blick sinnend in die Ferne. Und in einem silberfarbenen BMW zucken die Blitze. Sie erhellen die an die Scheiben geklebten Folien-Gesichter. Radar vom Rücksitz? Nein, Kunst. Auch die vielen kleinen und großen Zelte können kein Zufall sein - wer zeltet schließlich schon im Parkhaus? „Stadt im Regal" heißt die Ausstellung, die bis zum 18. Mai in der Parkgarage in der Behrenstraße 17 (Mitte) gezeigt wird. Und damit der Ungeübte seinen Weg findet, gibt es den Ausstellungskatalog in Stadtplanform. Die von der anfangs handlichen, gelb-blauen Sorte, die man zuweilen schon wutentbrannt zerrissen hat, weil der auseinandergefaltete Plan im viel zu kleinen Auto einem irgendwann den letzten Nerv raubte. Anhand des Stadtplans erobert man - ohne Auto! - die Ausstellung im besenrein gefegten Haus, in dem der normale Parkbetrieb in den unteren Etagen weiterläuft. Man liest nach, welchen Sinn das Ganze hat: „Das Parkhaus ist ein Durchgangsort. Er katalysiert die Wahrnehmung und schärft den Blick für die ständigen Veränderungen der Stadt, da er als besetzbarer Leerraum nicht fest in der Stadt verankert ist. Alle Darstellungen sind ohne Gewähr", steht da. Und für die Ausstellung, übernimmt da eigentlich jemand die Verantwortung? Hinter einem Betonpfeiler liegt ein Stapel von mattenähnlichen Teilen in Rosa- und Lilatönen. Wie Zungen lagern sie übereinander. Im Stadtplan steht die Philosophie des rästelhafen Gebildes: „Reich sein heißt, etwas zum Stapeln zu haben. Schulden lassen sich nicht stapeln, es gibt sie nur in Berg- und Haufenformen." Auf dem Dach des Parkhauses liegen in gewünschter Unordnung Kondome. Ausgepackt und unbenutzt. So viele, daß es kein Zufall sein kann - also müssen sie auch Teil der Ausstellung sein. Sogar einen Parkettboden hat ein Künstler auf den vielbefahrenen Beton gemalt. Gemütlicher wird das Parkhaus dadurch nicht. Bevor man sich über das nächste Zelt wundert, fällt der Blick noch auf ein paar Tierfotos an der Wand. In Berlin wird zuweilen so viel zur Kunst erklärt, daß man in tiefe Zweifel fällt, als man eine alte Socke auf dem Boden liegen sieht: Die wird doch nicht auch... ? Nein, sie gehört nicht dazu, wurde nur vergessen. Von wem und warum, man wird es niemals erfahren. Die ausgestellten Kunstwerke stammen unter anderen von Tina Born, Kai Hoelzner, Heike Klussmann, Birgit Schlieps und Katharina Schmidt. Silvia Meixner, Die Welt, 07.05.1997